10. Juli 2024

Roland Kirchler über Altach: „Haben jetzt mehr Krätzn. Die braucht es!“

Altachs Sportdirektor über seine Neuen, mutigeres Spiel, was man sich vom Nationalteam abschauen kann, die Wundertüte Lincoln und warum es bei ihm trotz Druck von außen keine Trainerdiskussion gab.

 

Geht es alleine nach den Torchancen, dann hätte Altach letzte Saison viel weiter vorne landen müssen. „Auch wenn ich normalerweise mit Begriffen wie Expected Goal Wert wenig anfangen kann, laut dieser Statistik hätten wir von unseren Torchancen in den Top6 landen müssen“, ist Sportdirektor Roli Kirchler klar, woran es bei nur 27 Toren in 32 Spielen haperte. Deshalb lag der Fokus bei den Neuzugängen im Sommer mit Lukas Fridrikas, dem Brasilianer Lincoln oder Oliver Strunz, der von Rapid geholt wurde, klar auf Verstärkung der Offensive. Wie er das Trio sieht, man den Fans heuer mehr bieten will und die Vorarlberger das Rennen um Fridrikas gegen die Austria gewinnen konnten, erklärt der Tiroler im bundesliga.at-Interview.

Bundesliga.at: Es gab bei Ihrem Antritt vor einem Jahr viele Kader-Baustellen. Erik Regtop meinte im Frühjahr 2023 zum kicker mit diesem Altach-Kader könne nicht einmal Mourinho etwas anfangen. Eine harte Aussage, aber mit einem wahren Kern?

Klar. Am Anfang war es noch aufarbeiten der alten Baustellen, auch mit laufenden Verträgen – jetzt ist es die von uns zusammengestellte Mannschaft – da übernehmen wir gern die Verantwortung. Heuer sollten wir weiter vorn sein und nicht mehr zittern müssen. Spielerisch waren wir letzte Saison  besser als in der Saison davor, nur unsere Chancen haben wir nicht verwertet. Unterm Strich ist daher nicht viel mehr herausgekommen. Dieser Trend muss jetzt in Ergebnisse umgemünzt werden.

Außerdem soll den Fans attraktiverer Fußball geboten werden.

Genau. Wir hatten ja auch 12 Unentschieden. Wir wollen mehr Mut und Risiko nehmen, vor allem bei den Heimspielen. Statt drei Unentschieden zu holen wäre es leichter, wir gewinnen mal wieder eine Partie. Daheim hatten wir einen guten Zuschauerschnitt, über 5000 pro Spiel – da kann dann wieder die Post abgehen. Zu meiner Zeit als Spieler hatten wir zwar nicht so eine gute Mannschaft wie jetzt, haben aber trotzdem immer wieder einen Großen geschlagen. Unser Ziel ist, dass wir gut Fußball spielen und den Trend fortsetzen. Wenn wir das hinkriegen, kann man mit der selben Performance auch bald einmal über dem Strich in der Meistergruppe sein. Das sieht man bei Klagenfurt oder Hartberg.

Damit der Kader nicht dauernd der tollen Infrastruktur hinterherhinkt.

Ja, wir haben jetzt auch eine gute Mannschaft – mit dem Vorteil heuer, dass wir sie nicht komplett neu zusammenstellen mussten. Mit einem guten Kern, wo sich 70 Prozent der Spieler schon kennen. Somit ist heuer die Grundvoraussetzung schon eine andere.

Joachim Standfest hat ja immer betont, dass Altach mehr Potenzial hat als es die Ergebnisse gezeigt haben. Kann man dann heuer die Meistergruppe als Ziel ausgeben?

Das will ich jetzt so nicht aussprechen. Wir wollen – so blöd das klingt – von Spiel zu Spiel schauen. Und die Spiele, wo wir klar besser waren, heuer gewinnen. Natürlich wollen wir mit hinten nichts zu tun haben.

Altach hat in Sachen Kaderbreite nachgebessert. Wie wichtig starke Spieler auf der Bank sind, sieht man ja in unserem Nationalteam.

Das ist ein gutes Beispiel. Weil das Team funktioniert super als super Mannschaft und Kollektiv – ohne die ganz großen Stars zu haben, wie andere Nationen. So etwas kann man sich als Vorbild nehmen.

Auch bei der Energie, die sie jedes Mal auf den Platz bringen?

Ja. So ein Satz wie: Wir haben heute keine 100 Prozent auf den Platz gebracht, sollte bei uns heuer hoffentlich nicht mehr oft fallen.

Oliver Strunz war bei Rapid öfter Joker, dann lange verletzt. Was erwarten Sie von ihm?

Er ist sehr positiv – taugt mir als Typ. Er hat immer ein Lächeln im Gesicht und ist freundlich und mit voller Energie beim Training. Ich glaube, der Ortswechsel hat ihm nicht geschadet. Außerdem kann er offensiv mehrere Positionen spielen, außen, aber vielleicht auch hinter der Spitze.

Bei einem Zugang wie eurem neuen Brasilianer Lincoln denkt man in Altach sofort an die glorreiche Zeit mit Leonardo und Ledezma.

Er ist eine Wundertüte, da muss man ganz ehrlich sein – mit einer Topvergangenheit. Er hats drauf, das hat er schon in der U20 mit den ganzen Granaten in Brasilien, die jetzt bei Real und Manchester City spielen, bewiesen. Dann hatte er leider ein Karrieretief bei Vissel Kobe in Japan. Von der Figur ist er eher so ein kompakter wie Ledezma, vom Abschluss eher wie Leonardo. Er weiß, wo das Tor steht, ist technisch gut und hat immer 'mal eine geniale Idee. Eine Wundertüte, die ein Spiel entscheiden kann und dann 10 Minuten nicht zu sehen ist, wie Leonardo.

Brauchen solche Typen eine lange Leine oder muss man ihnen Zunder im Hintern geben

Beides. Einerseits sind sie ja sehr nett und sehr offene Leute, aber manchmal muss man da auch sagen: Hey, Junge! Beiß den Schmerz weg, weil wir brauchen dich jetzt am Spielfeld. Man muss solchen Spielern immer das Gefühl geben, dass sie wichtig sind und gebraucht werden.

Lukas Fridrikas ist mit seinem Trainingselan und seiner Physis ein ganz anderer Typ.

Er ist genau das Gegenteil. Und ein bisserl eine Krätzn. Demaku und Strunz können das auch sein. Wir hatten vorher eine sehr brave Mannschaft. Jetzt haben wir diese Typen, die jede Mannschaft braucht.

Ihr habt das Match um Lukas Fridrikas gegen die Austria gewonnen. Wie hat das geklappt?

Wir versuchen die Spieler halt auch immer auf persönlicher Ebene zu gewinnen. Das ist mein Job. Mit ein bisschen Tiroler Schmäh kann man den einen oder anderen Tausender runterreden (lacht). Nein, im Ernst! Es geht nicht immer nur ums Geld. Der Spieler muss sich wohlfühlen. Wir haben uns bemüht und ihm auch erklärt, was wir in ihm sehen und dass er bei uns ein wichtiger Teil der Mannschaft ist.

Trainer Joachim Standfest wurde schon früh für die neue Saison bestätigt. Das war bei den vielen Trainerwechseln in Altach schon lange nicht der Fall.

Genau, es war auch schon der Druck auf mich groß. Als wir nix gewonnen haben, ging es schon los von den Fans und Zeitungen. Ich hab zu Joki gesagt, von mir gabs da nie eine Diskussion, dass wir das beenden – du bist ein junger Trainer und wir ziehen das jetzt gemeinsam durch. Wir haben schon sehr selbstkritisch unsere Fehler analysiert, bei mir und bei ihm. Ich sehe alle Trainings und wie gut er trainiert – oft einmal ist er vielleicht zu gut mit den Jungs, vielleicht braucht es etwas mehr Peitsche und weniger Zuckerbrot. Man kann ja ein gutes Verhältnis zu ihnen haben und sie trotzdem fordern. Spieler wollen ja auch gefordert und nicht nur gefördert werden.

 

Fotos: GEPA pictures/Selina Meier/SCR Altach